[ohne Korrekturlesung]

Es war etwas tricky, unter der Woche mittags rum in den Schacht zu kommen. Der Warnwestentrick war noch nicht so geläufig. Ich musste Geduld haben und wartete so unauffällig wie es nun mal ging, zum Glück war ich alleine-da fällt man nicht so auf wie im Mopp. Es war soweit, es ergab sich ein Fenster in dem ich unbemerkt in den Tunnel konnte. Das schwierigste war geschafft, jetzt war Erfahrung, Geduld und Taktgefühl gefragt. Der Zug-Takt war zu der Zeit am höchsten und ich bewegte mich nur in kurzen Etappen voran. Rennen, keine Gleisbettsteine kicken und wieder warten. Jedes mal Kauerte ich mich auf dem Boden an einem Pfeiler und hoffte nicht gesehen zu werden. Der Windzug und die Typischen Geräusche warnten mich immer vor den kommenden Zügen. Es ist pures Adrenalin, macht Spaß ist aber genauso beängstigend und gefährlich. Eine falsche Bewegung und das wars, ob der Sog vom Zug einen reinzieht, eine verpasst oder im schlimmsten Falle mitreißt und gegen den nächsten Pfeiler zieht. Das ist schon alles Leuten passiert und die wenigsten haben es Schadlos überstanden oder gar überlebt. Endlich war ich bei dem richtigen Notausgang angekommen, dort ging es ein Stockwerk höher und somit vorerst aus der Gefahr der Züge und gesehen zu werden. Auf den Stahltreppen atmete ich etwas durch, ich war nicht unfit oder aus der übung, aber der Sprint hatte es mit dem Adrenalinzusatz etwas in sich. Langsam ging ich hoch auf die 2. Ebene und stoppte. Irgendwas vibrierte, es war in meiner Tasche. Ah ok das war mein Handy. Ich holte es rasch raus, es war mein damaliger Train Partner der anrief:

TP: „Na alles klar, was machste?“

T: „Bin im Schacht, will mir nen 20er+ geben“

TP: „ah ok cool, wo bistn?“

T: „na hier ***, bin grad am Notie. …Oh shit.“
Ich griff beim Telefonieren in meine Tasche und spürte eine Skizze, die ich eigentlich aufm weg entsorgen wollte.

TP: „wasn los, kommt jemand? Train?“
T: „Ne, hab verpeilt nen Sketch zu entsorgen, ik verbrenn den einfach hier fix”

Wir plauderten noch kurz und verabredeten uns für später, während des Telefonats zündete ich die Skizze an und Checkte den Oberen Schacht. Ich stand genau an einem Knick, links ging es zu einem Bahnhof und rechts zum Zug. Es war ein träumchen, unter der Woche standen da nur zwei Waggons, also eine Einheit und es war nur ein Schacht ohne vorbeifahrende Züge, man konnte sich richtig austoben. Ich ging langsam ran, Schwelle für Schwelle, achtend auf die Gleisbettsteine. Der Blick immer abwechselnd auf den Zug und auf die Schritte die ich tat. Bei jedem Schritt kam etwas mehr Adrenalin in mir zur Geltung, obwohl ich recht gelassen war. Habe im Hinterkopf: “das habe ich schon zigmal gemacht und wenn was sein sollte hau ik einfach rein.” Nach ein paar Minuten war ich angekommen, Checkte fix die beiden Waggons und Notausgänge ab. Mittlerweile beruhigte sich mein Adrenalinspiegel und ich kam etwas runter. Ich blieb noch mal kurz vor meiner geplanten Fläche stehen und horchte nochmal in die Stille rein- nix, rein gar nix zu hören. Ich legte meine Dosen ab und fing entspannt an vorzuziehen, einen Buchstaben nach dem anderen, mit schönen Schwung. Beim Ausfüllen schaute ich immer wieder Richtung Bahnhof ob wer kommt, aber es ging alles glatt. Ich setzte meinen Background, Outlines und Highlights, leider hatte ich nur Fatcaps dabei. Ich machte kurz Pause und schaute mich nochmal um, ging ein paar Schritte zurück und machte meine Fotos. Jetzt war ich komplett entspannt und überlegte ob ich durch den Notie raus sollte oder übern Bahnhof. Ich wählte den Bahnhof und machte mich auf den Rückweg, am Notausgang schaute ich Richtung Bahnhof und es war nichts zu sehen. Ich freute mich, mein Ziel ist es immer „unbemerkt rein, malen und unbemerkt wieder zu gehen“. Auf der unteren Ebene angekommen wartete ich auf den Takt. Noch war ich tiefenentspannt. Leise hörte ich die Schienen Ihren metallischen Sound spielen, der Windzug wurde immer stärker. Kauernd wartend, presste ich mich an die Wand. Mein Adrenalin stieg wieder etwas, Schweißperlen bildeten sich langsam auf meiner Stirn und ich bereitete mich auf das Rennen vor. Der Wind und Sound wurde immer heftiger, dann fuhr ein Waggon nach dem anderen kreischend an mir vorbei, der Wind presste sich den Notausgang hoch zur Straße ins Freie. Der Zug schlitterte mit seinem letzten Waggon an mir vorbei und ich stand auf und rannte hinterher. Der Zug entfernte sich stetig und ich fing an mehr auf die Geräusche zu achten. Jetzt war der letzte Waggon schon 50 Meter von mir entfernt als plötzlich der Zug aus dem Gegenverkehr sich durch den Schacht windete. „Fuck, der hat mich gesehen.“ dachte ich mir nur. 1000 Gedanken schossen gleichzeitig durch meinen Kopf. Ich kam zu dem Entschluss und entschied drauf zu scheißen, einfach weiter rennen, sind vielleicht noch 200 Meter. Ich rannte, der Zug hupte, der Fahrer sichtlich entrüstet mit den Arm fuchtelnd und fuhr langsam an mir vorbei. Ich rannte und rannte, mein Adrenalinspiegel war auf höchster Stufe und ich funktionierte nur noch. Ich nahm gefühlt so ziemlich jeden Gleisstein mit den ich kicken konnte, Der Schacht führte in einer leichten Kurve und ich sah langsam das Licht und schließlich den Bahnhof. Ich wurde konzentrierter und bedachter, keine lauten Geräusche zu machen. Der Druck fix rauszukommen, lag mir dennoch im Nacken. Ich kam am Bahnhof an und spürte wieder einen leichten Wind in meinem Rücken. Ich öffnete einen Spalt die Schachttür die zum Bahnhof führt und lugte durch. Kein BVGler, Polizei oder Wachschutz war zu sehen, alles verlief wie gewohnt. Ich wartete etwas, bis ein paar Leute kamen und öffnete schnell, aber bestimmt die Tür und ging selbstverständlich raus. Ich zog die Tür zu und mischte mich unter die Fahrgäste die den Bahnhof verließen. Oben an der frischen Luft, atmete ich kräftig durch, es war niemand zu sehen und ich ging zur Bushaltestelle und fuhr nach Hause.